16.-23. September 2023
Zum zweiten Mal organisierte balkanbiro eine Studienreise nach Südosteuropa. Diesmal drehte sich alles um die Geschichte der jugoslawischen Partisan:innenbewegung in Bosnien während des Zweiten Weltkriegs, deren Erbe heute je nach Standpunkt entweder verklärt oder bekämpft wird, doch zweifellos immer noch stark präsent ist. Das gebirgige, stark bewaldete und unzugängliche Bosnien-Herzegowina war das Zentrum des Widerstands – und wurde schließlich auch zum Gründungsort des zweiten jugoslawischen Staats.






Die 8-tägige Reise begann in Sarajevo, wo wir am ersten Tag zunächst das Historische Museum besuchten. Direktorin Elma Hašimbegović gab uns dort einen Einblick in die offizielle Geschichtsschreibung und die damit einhergehende Vernachlässigung/ Tilgung der Partisan*innen aus dem kollektiven Gedächtnis. Im Anschluss erzählte uns Andreja Dugandžić von der Geschichte der AFŽ, der Antifaschistischen Front der Frauen, deren Beitrag zum Sieg der Partisan*innen und dem Aufbau der SFRJ oft vernachlässigt wird. Im Anschluss spazierten wir zum Spomenpark (Gedenkpark) Vraca, wo Nicolas Moll eine Einführung in die Entstehungsgeschichte der Partisan:innen und ihrer Entwicklung hielt. Über den jüdischen Friedhof ging es zurück in die Stadt.






Auch den nächsten Tag verbrachten wir in Sarajevo. Die Stadtführung mit Haris Sahačić begann am Sebilj-Brunnen in der Baščaršija und ließ unterwegs keines der bedeutendsten Highlights aus, darunter das Alte Rathaus / Vijećnica. Dazwischen stießen wir immer wieder auf Spuren der Belagerung (1992-1996), wie die „Rosen Sarajevos“, rot ausgefüllte Granateneinschläge. Und wir suchten und fanden Denkmäler und Spuren von Partisan:innen, zum Beispiel der Partisanenlegende Vladimir Perić ‚Valter‘.
Am Nachmittag stand den Teilnehmer:innen frei, ob sie im Jüdischen Museum ihre Eindrücke vom Vortag (Jüdischer Friedhof) vertiefen oder mit der Seilbahn „Žičara“ auf den Hausberg Trebević fahren wollten, der die Stadt Sarajevo überragt. Die Seilbahn war ursprünglich zur Olympiade 1984 erbaut worden, genau wie die olympische Bob-Bahn, deren Ruinen einige Teilnehmer:innen begingen. Am Abend trafen wir uns mit Judith Brand von der Heinrich-Böll-Stiftung Sarajevo zu einem gemeinsamen Abendessen — „with a view“. Von ihr erhielten wir Einblicke in die heutige politische Landschaft und ihren Konflikte.






Am Dienstag führte die Reise zunächst auf den Berg Igman, wo uns Ibrahim Durmo, Vizepräsident des Verbands der Antifaschisten und Kämper des Volksbefreiungskriegs (SABNOR) über den berühmten Marsch vom Igman berichtete: Am 27. Januar 1942 hatten sich 800 Partisanen bei -38 Grad über 19 Stunden und unter größten Opfern der Einkesselung der Nazis entzogen. Weiter ging es dann an der türkisgrünen Drina nach Tjentište im Sutjeska-Nationalpark, wo ein ganzer Gedenkkomplex an die Schlacht an der Sutjeska erinnert, die hier von Mitte Mai bis Mitte Juni 1943 stattfand. Einer Übermacht von Deutschen, Italienern, kroatischen Ustascha und Bulgaren (127.000 Soldaten und 300 Flugzeugen) standen hier die 16 Brigaden der Jugoslawischen Volksbefreiungsarmee mit einer Stärke von 18.000 Soldaten gegenüber. Obwohl die Schlacht für die Partisanen mit 6.391 Toten extrem verlustreich verlief, wird sie als Wendepunkt erinnert. Wir besuchten das Museum und das Gedenkhaus, wo Fresken und die Namen der fast 7000 gefallenen Partisan:innen verewigt sind.






Das Partisanendenkmal an der Sutjeska erinnert an eine der schwersten Schlachten, die im gesamten Zweiten Weltkrieg zwischen den Partisan:innen und ihren Gegnern ausgetragen worden sind. Auf Seiten der Partisan:innen wurde die Schlacht offiziell „Fünfte feindliche Offensive“ genannt, während die Deutschen sie als „Operation Schwarz“ bezeichneten. Vom Denkmal wanderte wir den Berg steil hinauf zum Grab Sava Kovačevićs, direkt hinter dem kleinen Amphitheater oberhalb des Denkmals. Die kurze Wanderung ließ uns immerhin erahnen, wie unermesslich schwer die Bedingungen für eine Partisanenarmee im Zweiten Weltkrieg gewesen sein musste — einschließlich eines Feldkrankenhauses im Bergwald, das zu einem tragischen Ende kam.
Am Nachmittag ging es durch die Ost-Herzegowina dann weiter Richtung Mostar, wo wir am Abend im Jugendkulturzentrum Abrašević von Boris Filipić, Monika Bazina und Nikola Rončević empfangen wurden. Das Zentrum gab es bereits in der sozialistischen Zeit, blieb aber den Krieg der 1990er hinweg geschlossen — bis es im Jahr 2003 von neu organisierten Jugendverbänden rund um die Kulturinitiative Mostar Intercultural Festival auf eigene Faust wiederbelebt werden konnte. Heute ist es sowohl Jugendzentrum als auch Konzertraum, Treffpunkt und Medienwerkstatt.






Die Stadtführung in Mostar begann am Spanischen Platz, der genau zwischen dem sogenannten West- und Ostteil der Stadt liegt. Hier und in der näheren Umgebung war im Krieg jedes einzelne Gebäude sehr stark zerstört worden, wovon heute noch einige Ruinen zeugen. Das kroatisch dominierte Westmostar war seit jeher der neuere Teil der Stadt, die durch moderne Architektur und breite, baumbestandenen Alleen charakterisiert ist. Der Ostteil, der mehrheitlich von Bosniaken bewohnt wird, umfasst die eigentliche Altstadt mit ihren niedrigen Steinhäusern und dem Wahrzeichen der Stadt, der Alten Brücke (Stari Most). Natürlich haben wir auch den Partisanenfriedhof aufgesucht, der im Westteil der Stadt liegt. Der Denkmalpark ist aufs Engste mit seinem Bildhauer und Landschaftsarchitekten Bogdan Bogdanović verbunden und wurde in der Vergangenheit immer wieder Ziel von Vandalismus.






Jablanica, unsere vorletzte Station, befindet sich am nördlichen Ende des Neretva-Canyons. Direkt am Ufer des Flusses befindet sich das Museum „Schlacht für die Verwundeten an der Neretva“ (Bitka za ranjenike na Neretvi), benannt nach der gleichnamigen Schlacht, die zwischen Januar und April 1943 stattfand. Auch rund um diese Schlacht ist 1968 ein monumentaler Partisanenfilm entstanden: die Schlacht an der Neretva (Bitka na Neretvi). In der Filmkritik wurde er als der teuerste je produzierte jugoslawische Kriegsfilm bezeichnet, der eigentlich eine jugoslawisch-italienisch-deutsch-amerikanische Koproduktion war. Die sehr real wirkende Einsturzkulisse der Brücke der Narentabahn hinter dem Museum liegt dort keineswegs seit 1943 in der Neretva: Die Brücke, wie sie heute da liegt, geht auf eine Sprengung während der Dreharbeiten für den Film zurück. Vor dem Rückweg nach Sarajevo fuhren wir über eine steile Serpentinenstraße hoch in den Nationalpark Blidinje, wo sich eine weite Karstebene ausbreitet. Dort liegt auch eine archaisch wirkende Nekropole mit Stećci (Grabmälern). Nachdem sich die vielen Eindrücke setzen konnten, ging es auf den Rückweg nach Sarajevo.