Online-Veranstaltung:
20. Januar 2022
Die Internationale Gemeinschaft hat während des Krieges in Bosnien-Herzegowina (BiH) weggeschaut und nicht in den Krieg eingegriffen – so der Vorwurf, der sowohl in Bosnien-Herzegowina, als auch im Rest Europas laut wurde. Viele fühlten sich von der europäischen Politik alleine gelassen, obwohl sich die meisten Bosnier:innen doch selbst als Teil Europas sahen und sehen. Trotzdem gab es viele zivilgesellschaftliche Akteur:innen, die in Bosnien und Herzegowina während des Krieges aktiv wurden, selbstorganisierte Hilfstransporte durchführten, Informationskampagnen in den Herkunftsländern organisierten und teilweise auch gegen die Politik der eigenen Regierungen protestierten.
Die transeuropäische Organisation International Workers Aid (IWA) mit Aktivist:innen aus unterschiedlichen westeuropäischen Ländern bietet ein heute wenig bekanntes Beispiel von zivilgesellschaftlichen Akteur:innen, die durch humanitäre und politische Arbeit versuchten, dem Krieg etwas entgegenzusetzen: Sie organisierten Hilfskonvois mit Lebensmitteln in die multiethnische Stadt Tuzla und unterstützten durch verschiedene Projekte die lokale Bergbaugewerkschaft. Schüler Helfen Leben (SHL) sowie die Bosnien-Hilfe waren zwei weitere Beispiele.
Auf der Veranstaltung „Hat Europa weggeschaut?“ sprachen Kathrin Jurkat und Thomas Schad, ehemalige Freiwillige in BiH und Historiker:innen, mit Nicolas Moll, Nenad Stefanov und Julia Saldenholz. Welche Beweggründe hatten die Aktivist:innen, in ein Kriegsgebiet zu gehen, um zu helfen? Wie sah die Solidaritätsarbeit konkret aus?
Julia Saldenholz engagierte sich früh bei der Organisation Schüler Helfen Leben (SHL), die 1992 von Gymnasiast:innen gegründet wurde, um Hilfsprojekte für und mit bosnischen Jugendlichen durchzuführen. 1995 war sie als Freiwillige in Mostar, wo SHL unter anderem den Wiederaufbau einer zerstörten Schule organisierte. Heute ist sie Journalistin des Norddeutschen Rundfunks und schätzt ihr Engagement in Bosnien-Herzegowina als eine sehr prägende Zeit ein.
Nenad Stefanov ist Koordinator des Zentrums Crossing Borders – Borders Crossing an der Humboldt-Universität zu Berlin. Er hat in den 1990er Jahren als Student die Initiative Bosnien-Hilfe an der Universität Frankfurt a.M. ins Leben gerufen, die in Zusammenarbeit mit antinationalistischen Friedensakteur:innen aus dem ehemaligen Jugoslawien durch Konferenzen und Publikationen über den Krieg in Bosnien informierte.
Nicolas Moll ist freischaffender Historiker und forscht zu zivilgesellschaftlicher Solidarität auf europäischer Ebene während und nach dem Bosnienkrieg in den 1990er Jahren. Er ist Kurator der Ausstellung „Wake up Europe! Support and solidarity mobilisations with Bosnia and Herzegovina and its citizens, 1992-1995“, die derzeit im Historischen Museum Sarajevo zu sehen ist, und Autor des Buches „Solidarity is more than a slogan“, das die Arbeit der International Workers Aid aufarbeitet und dokumentiert.
Projektpartner:innen:
- Zweigstelle der Südosteuropa-Gesellschaft in Berlin
- Stiftung Schüler Helfen Leben
- Integrationsverein ImPULS e.V.
- Zentrum Border Crossings – Crossing Borders der Humboldt-Universität zu Berlin
- Lehrstuhl für Südosteuropäische Geschichte der Humboldt-Universität zu Berlin